LET'S TALK mit Markus Freitag
Markus Freitag sucht den Austausch. Deshalb hat er auch die Einladung zum Event «Let‘s talk» angenommen. Reden liege ihm besser als präsentieren, meint er. Gleich zu Beginn fragt er in die Runde, was denn eigentlich die Studenten interessiere? Es sind Fragen wie: „Weshalb hast du dich entschieden eine eigene Firma zu gründen?“, „Was sind die Vor- und Nachteile eines eigenen Büros und Mitarbeitern?“, oder „Was fehlt der heutigen Designszene in der Schweiz und wie fühlte sie sich damals an?“ Markus fängt an mit einer Anekdote: Im Jahre 1969 haben sich Mama und Papa Freitag entschieden die Familie FREITAG zu gründen. Die Mutter kommt aus dem Marketing. Der Vater ist ein Sozialökonom. Er hält ein Foto in die Runde. Darauf sind die zwei kleinen Freitag-Brüder in einem Auto mit zwei Steuerräder zu sehen, welches sich auf einem Jahrmarkt-Karussell befindet. Die zwei Steuerräder symbolisieren die gemeinsame Führung der Marke FREITAG. Das Karussell steht für das Kreislaufdenken, welches sie schon früh prägte. Eine wichtige Frage war für Markus: was soll man mit einer Bananenschale tun? Eine noch wichtigere Beobachtung war, dass Zucchetti auf dem Kompost wachsen, ohne dass sie gepflanzt werden müssen. Auch das Toni-Jogurt prägte sich bei ihnen ein. Das Glas, welches während dem Gestaltungsunterricht auch als Pinselwäscher diente. „Die Kontextualisierung von Dingen spielte bei FREITAG schon immer eine sehr wichtige Rolle.“, sagt Markus. In den 80er-Jahren kam das grosse Waldsterben und die Borkenkäfer frassen sich durch die Schweizer Wälder. Die Ursache war saurer Regen, welcher durch den hohen Ölverbrauch in der Schweiz entstand. Daraufhin überredeten die damals fünfzehnjährigen Jungs ihre Eltern, das Auto durch ein Familien-GA zu ersetzten. Schnell merkten sie, dass dies im Bezug zur Mobilität mehr ein Gewinn war, als ein Verlust. 1993 wurde in einer WG direkt an der Hardbrücke die FREITAG-Tasche geboren. Das Fenster öffneten sie damals selten, zu viel Russ und zu viel Staub von den vorbeifahrenden LKWs. Daraus entstand auch die Idee, LKW-Blachen für die Herstellung von Taschen zu verwenden. Ihre ersten Kunden waren die Mitstudenten der Kunsthochschule. Dass jede Tasche ein Unikat ist, wurde ihnen erst bewusst, als sie die schweren Blachen zum zweiten Mal das Treppenhaus hinaufschleppten. Es dauerte nicht lange bis sie aus der Wohnung geschmissen wurden. Zwei Industrienähmaschinen und der morgendliche Rauch waren zu viel. Dieser entstand durch das Erhitzen der Messer um die robusten Gurte sauber schneiden zu können. Die produzierten Stückzahlen stiegen mit dem Interesse der DJ-Szene.
Die von ihnen organisierte „Schwerverkehr-Bar“ war wohl der Auslöser dafür. Ein Bekannter legte als DJ auf und merkte, dass die Freitag-Tasche sich perfekt eignete um die unzähligen Schallplatten transportieren zu können. Markus sagt, eine Idee zu zweit umzusetzen sei gut. Denn beide Brüder wollten in der Vergangenheit die Idee von FREITAG schon mehrere Male hinschmeissen. Jedoch motivierte der eine den anderen in motivationschwachen Zeiten. Ein weiterer Vorteil sei auch, dass man früh lerne zu teilen, meint Markus. In ihrem Unternehmen würden sie die Hierarchie ohnehin am liebsten abschaffen. Hierarchie führe vielfach zu Problemen. Der Normalfall in der Wirtschaft sei, dass Absolventen von St. Gallen Unternehmen gründeten. Und nach dem die Investoren überzeugt seien, zöge man einen Designer zur Hilfe, der dann die Produkte oder Dienstleistungen verkaufsfördernd gestalte. Sie wählten den umgekehrten Weg vom Gestalter zum Unternehmer. Deshalb merkten sie auch schnell, dass nicht nur ein Produkt gestaltet werden muss, sondern alles andere auch. Die Art und Weise wie ein Produkt verkauft wird, muss gestaltet werden. Die jeweiligen Verkaufskanäle müssen gestaltet werden. Und auch die Rechnungen und Mahnungen verlangen eine Gestaltung. Diese Gesamtgestaltung nennen sie auch gerne Holistic-Design. „Wenn wir Produkte selber gestalten, hat dies den Vorteil, dass wir auch die Probleme dahinter sehen. Die nötigen Prozesse werden immer wieder neu überdacht.“ Dies sei einer der Gründe, weshalb Freitag fähig sei ihr Produkt in einer der teuersten Städte der Welt zu produzieren, und nicht irgendwo in Bangladesch. Bald kam ein weiterer Schlüsselmoment. Markus nennt die Geschichte «David gegen Goliath»: Die Migros versuchte ihre Freitag-Taschen zu kopieren und lancierte in ihrem Sortiment eine Tasche aus LKW-Blachen. Irgendwie schnappten dies die Medien auf und 10vor10 strahlte einen Bericht darüber im SRF aus. Die Marke FREITAG wurde über Nacht berühmt und sogar der Spediteur von Mümliswil versprach ihnen, aber auch nur ihnen seine Blachen zu verkaufen. Der Erfolg blieb, die Verkäufe stiegen und der Wunsch nach einem eigenen Shop entstand.
Eines Morgens auf dem Weg ins Atelier sah Markus ein Schild, auf welchem stand: Parkplatz zu vergeben. Später am Abend spielte man mit irgendwelchen Klötzchen herum und die Idee Container für den Shop zu verwenden war geboren. 2006 nahm man die erste, grössere Investition in Kauf und baute sich mit einem Kredit von der Bank auf der anderen Strassenseite den berühmten Freitag-Tower. Die Kontextualisierung sieht man auch bei diesem Beispiel sehr schön: LKW-Blachen zu Taschen, LKW-Container zu Shop. Auch heute, 25 Jahre später, bleibt die Marke FREITAG ihrer Wertematrix treu. Die Begriffe urban, rekontextualisierend, funktional, ehrlich, slightly fucked up und intelligent, helfen Markus und Daniel bei der Markenführung. Ihr wichtigster Leitsatz lautet: FREITAG denkt und handelt in Kreisläufen. Mit ihren Taschen aus Recycling-Material verkauft das Unternehmen eines der erfolgreichsten Schweizer Designprodukte mittlerweile 300‘000 Mal pro Jahr. Mit oft humorvollen und ironischen Kommunikationsstrategien schafft es FREITAG als Marke das Paradox eines individualistischen Massenproduktes zu verkörpern.
Text: Yvo Goette, Student im Bachelor Industrial Design.
Bilder: Scans aus dem Buch "Freitag – ein Taschenbuch", Lars Müller Publishers. 2012. Museum für Gestaltung Zürich.